„The constant flaggings ensure that, whatever else is forgotten in a world of information overload, we do not forget our homelands.“ (Michael Billig)

Nationalismus – das ist so ein gefährliches Wort, dass man sich schon fast nicht traut, darüber zu schreiben. Aus gutem Grund sind wir diesem Begriff und seiner Bedeutung gegenüber sehr vorsichtig. Allerdings bringt die Beschäftigung mit dem Phänomen des Nationalismus gerade für den Bereich des Marketing und Branding einige interessante Insights.

Nationalismus und Patriotismus

Als der amerikanische Präsident Bush Anfang der neunziger Jahre den Krieg gegen den Irak erklärte, stellte sich eine breite Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung hinter ihn. Patriotische Stimmen wurden überall laut, Zeitungen unterstützten das Vorhaben und jegliche Kritik wurde als unpatriotisch abgetan. Unter Berufung auf die Wiederherstellung bzw. Verteidigung einer souveränen Nation wurde der Einmarsch der US-Truppen für die westliche Welt ein legitimer Grund. Dass dies auch mit Opfern verbunden sein würde, war jedem klar. Aber es ging um eine höhere Sache als das Leben einzelner, evtl. hunderter, schließlich tausender Menschen: Es ging um die Nation.

Als Deutsche schauen wir schnell verächtlich auf die Nachbarn über dem großen Teich und betrachten ihren Patriotismus und Nationalstolz mit einem überheblichen Lächeln und Kopfschütteln. Aber wir erleben das selbe: Erinnern wir uns bspw. an die Fußball-WM 2006 und ein deutsches Fahnenmeer in Berlin.

Warum ist man stolz, wenn die eigene Fußball-Nationalmannschaft gewinnt? Warum freut man sich über den internationalen Erfolg eines Kinofilms aus dem eigenen Land? Warum betonen wir die deutschen Wurzeln eines internationalen Stars? Warum vergessen wir unsere nationale Identität niemals?

Wir leben in einer Welt der Nationen und eine andere Denkweise ist nicht vorstellbar – es scheint, als ob dies schon seit Urzeiten so gewesen ist (wobei ein Blick ins Geschichtsbuch zeigt, dass dem nicht so ist). Dieses nationalistische Denken ist so tief in uns verankert, dass es als das absolut natürliche erscheint. Doch wodurch wird es gestützt? Wie wird es aufrechterhalten?

Banal Nationalism

In seinem höchst interessanten Werk „Banal Nationalism“ untersucht der Autor Michael Billig, warum es so etwas wie Nationalismus überhaupt gibt. Nationen sind eine konstruierte Realität, argumentiert er. Sie werden nicht allein durch gemeinsame Sprache aufrecht erhalten, ebensowenig durch eine gemeinsame Vergangenheit. Und gleichzeitig ist die Nation stark und wir sind uns ihrer auf einer Meta-Ebene stets bewusst.

Man fühlt sich der Nation verbunden, ohne sich bewusst dafür entscheiden zu haben. Das Unbewusste, so Billig, wird dabei durch den Einsatz von alltäglichen Remindern gesteuert: Die Fahne im Garten (neben dem Gartenzwerg, das Erwähnen „unserer Jungs“ wenn die Rede von den Soldaten oder Fußballern der eigenen Nation ist, „unsere“ Regierung, „wir“ haben zu viele Arbeitslose, „Made in Germany“, „unsere“ deutschen Autos, usw. Man hat Anteil am nationalen Diskurs, man lebt mit, man spricht mit, man identifiziert sich. Die Nation wird durch scheinbare Alltäglichkeiten jeden Tag im Denken eines jeden einzelnen reproduziert.

Bsp. von typisch Deutsch: Brezel, Burgen, Trachten, Bier, Oktoberfest, Autobahn, Straßenschild, Merkel, Reichstag, ICE, Apothekenschild, Gartenzwerg.

Branding und Nationen

Wenn eine Marke es schaffen würde, in ähnlicher Weise so präsent im Kopf zu sein, dann hätte sie ein großartiges Standing. Ein Beispiel wären deutsche Apotheken – das ist zwar keine eigenständige Marke an sich, aber tief im Bewusstsein der Bevölkerung eingebrannt. Sobald man das A sieht, weiß man Bescheid – und vertraut.

Tempo hat sich ebenso im Sprachgebraucht verankert. Ein gebrandetes Taschentuch.

Der ADAC hatte vor dem Auffliegen seiner Affäre ebenso ein Ranking: Die gelben Engel, die so fest im kollektiven Bewusstsein verankert waren.

Was können wir an dieser Stelle vom Banal Nationalism lernen?

  1. Bewusstes, kontinuierliches Einsetzen von ZeichenEin Unternehmen, dass sich durch eine klare, gut erkennbare Zeichensprache abhebt und visuelle Elemente konstant einsetzt, wird die Bindung von Mitarbeitern und Kunden stark erhöhen. Das kontinuierliche, kreative Erinnern an die Unternehmens-Identität  wird sich bezahlt machen. Dabei geht es nicht darum überall das eigene Logo drauf zu hauen – vielmehr geht es um Identifikations-Punkte, die geschaffen werden müssen. Die typisch deutsche Brezel hat ja auch keine Deutschland-Fahne aufgeklebt.

    Vielmehr muss das auf einer Meta-Ebene geschehen. Ein gutes Beispiel dafür sind in Deutschland Straßenschilder: Achten Sie beim nächsten Österreich-Urlaub mal bewusst auf die Straßenschilder. Sie werden sofort erkennen, ab wann Sie sich wieder in Deutschland befinden.

  2. Bewusster Einsatz von SpracheEin extrem wichtiger Bestandteil des Erinnerns an die eigene Nation ist die Sprache. Nicht im Sinne von einer gemeinsamen Sprache, sondern von Begriffen, die verbinden, die formen, die Identität stiften.

    „Das weiße Haus“ ist nicht das einzige weiße Haus auf der Welt – und dennoch weiß jeder sofort, um was es geht. Wenn „Berlin“ eine Entscheidung trifft, ist damit nicht die Stadt gemeint – sondern die Regierung die dort sitzt.

    Durch gemeinsame Sprache verbindet – und bindet man sich. Es ist eine großartige Möglichkeit der Identifikationsstiftung: Man gehört dazu, ist Teil der Gruppe, weil man die sprachlichen Besonderheiten kennt und teilt. Großartig wie sich bspw. der Begriff „googeln“ ergeben hat – ob das jetzt geplant war oder nicht, aber es zeigt, wie Sprache an ein Unternehmen binden kann.

  3. Bewusste Identität durch CharaktereigenschaftenAls Peter Jackson den Oskar für seinen ersten Herr der Ringe -Film gewann, stand er mit seiner Crew in Hollywood vor dem roten Teppich. Und was machte er? Er zog sich seine Schuhe aus und ging barfuß über den Teppich. Das kann Ausdruck seiner eigenen Demut sein – gleichzeitig verband er den Film kontinuierlich mit seiner Heimat Neuseeland – und eine der „großartigen“ neuseeländischen Charaktereigenschaften ist Demut. „Wir leben am Ende der Welt, sind zurückhaltend – aber unglaublich sympatisch!“

    An der Stelle, an der Unternehmen bewusst Charaktereigenschaften etablieren und fördern, wird wiederum ein enormes Identifikations-Potential geschaffen. Ich möchte hier dazu gehören, das macht „uns“ aus, „wir“ sind so. Wenn dies dazu noch passende und anziehende Eigenschaften sind, werden sie umso schneller etabliert und angenommen.

Fazit

Was aber aus alldem klar wird: Solche Prozesse brauchen viel Zeit! Und sie sind nur teilweise zu steuern. Der Gewinn daraus ist aber unvergleichlich: Ein Unternehmen mit einer so starken Identität, dass Kunden wie Mitarbeiter daran gebunden sind und sich zugehörig fühlen – vor allem zugehörig fühlen WOLLEN, so ein Unternehmen hat Zukunft.